Freie Fresse

Um das paradoxe System DDR verstehen zu können lohnt ein Blick auf dessen Medien. Obwohl die Verfassung der DDR Presse- und Meinungsfreiheit garantierte ("Eine Pressezensur findet nicht statt.", Art. 9 der Verfassung der DDR) existierte diese faktisch nicht. Nach außen hin gab sich das System betont demokratisch, doch unter der Fassade brodelte der Kontrollwahn.

 

Ob Fernsehen, Zeitungen oder Zeitschriften - das System der Überwachung war lückenlos. Es durfte nichts geschrieben, gesendet oder auch nur gedacht werden, was das Arbeiter- und Bauernparadies beim bitterbösen Klassenfeind in ein schlechtes Licht gerückt oder die zartbesaitete Bevölkerung verunsichert hätte.

 

Schüsse im Eichsfeld

Mitunter hatte man offensichtlich Mühe, den Mantel des Schweigens über die aus Sicht der Obrigkeit "unschönen Vorkommnisse" zu breiten. So beispielsweise im Mai 1981, als ein fahnenflüchtiger Sowjet-Soldat aus der Garnison Nohra im Eichsfeld flüchtete. Am Rande der Gemeinde Effelder kam es zu einem Feuergefecht, in dessen Folge der Soldat tödlich getroffen wurde. In den DDR-Medien fand sich dazu natürlich nichts. Allerdings nützte die mediale Verdunklung hier nichts: Zwei Tage nach dem Vorfall  stand am Tatort ein aus Haselnussstöcken gefertigtes Kreuz, laut Bericht der Stasi von einem "geistesgestörten Einwohner" aufgestellt. Als ob das noch nicht genug wäre, kamen einige Tage später auch noch 500 katholische Kinder und Jugendliche, um am Tatort zu beten und Blumen niederzulegen. Die Zensur endet eben dort, wo man etwas mit eigenen Sinnen wahrnehmen kann.

 

Brandt & Mitterrand in Thüringen

Über eine gemeinsame Reise von Willy Brandt und Francois Mitterrand in den Süden Ostdeutschlands 1981 berichteten die DDR-Medien- warum auch immer - nicht. Dumm nur, daß die Westmedien berichteten, was natürlich Spekulationen Tür und Tor öffnete. Mitterrand lief auch noch in aller Öffentlichkeit durch Rudolstadt und führte so die Zensur ad absurdum.

 

Freie Fresse

Am 21. Oktober 1988 erschien die Freie Presse, das offizielle Sprachorgan der SED in Karl-Marx-Stadt, mit einer interessanten Namensvariante in der Kopfzeile. Der überregionale Mantelteil war mit "Freie Fresse" überschrieben - was wahrscheinlich wirklich nur auf einen Fehler beim Setzen der Lettern zurückzuführen war.  Charmant daran war, daß just in dieser Ausgabe eine harsche Kritik an Glasnost und Perestroika des Politbüromitglieds Horst Dohlus abgedruckt wurde. Mag es Zufall gewesen sein - aber es passte wie die Faust aufs Auge.

 

Es gibt noch immer viele, die meinen, es wäre in der DDR doch besser gewesen. Manche meinen auch, es wäre heute nicht anders als in der DDR. Hier hilft es, sich zu erinnern, wie es damals war. Heute kann man kritisieren, im Internet veröffentlichen, kurzum: Seine Meinung frei und ohne Angst vor Strafverfolgung äußern. Man kann das auch medial tun - eben im Internet, oder wenn man will kann man selbst eine Zeitschrift oder ein Buch herausgeben.

 

Wem das nicht als Argument reicht, der nehme Stift und Papier und formuliere eine Kritik auf Honeckers Grenzregime und schicke es ans "Neue Deutschland". Merken Sie den Unterschied? 

 

Hier wie immer noch einige Links zum Thema:

Was die DDR-Presse 1981 verschwieg Quelle: mdr Online

DDR-Zeitungen und Staatssicherheit: Zwischen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und operativer Absicherung Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung 

Zensur in der DDR Quelle: Wikipedia 

"Freie Fresse" Quelle: Spiegel-Archiv